Diabetes und Fasten im Ramadan
Das Thema Ernährung hat in der Laufbahn von Diabetesberaterin Gülcan Celen von den DRK Kliniken Berlin Mitte immer eine große Rolle gespielt. Aufgrund ihrer türkischen Wurzeln gehört der Fastenmonat Ramadan zu ihrer eigenen Geschichte: Sie kennt die Fragen und Probleme, mit denen Menschen mit Diabetes beim Thema fasten konfrontiert sind. Im Gespräch erklärt sie, wie Menschen mit Diabetes mit dem Fasten umgehen sollten – und was in Beratung und Therapie grundsätzlich nötig ist, um Menschen mit unterschiedlichen kulturellem Hintergrund richtig zu beraten.
Von Andreas Göbel/ A.F.S.-Biotechnik
Frau Celen, welche Rolle hat das Thema Ramadan und Fasten in ihrer beruflichen Laufbahn gespielt?
Schon in der Zeit nach meiner Ausbildung in den 1990er Jahren waren Ramadan und Fasten in Zusammenhang mit Diabetes ein großes Thema, allerdings ging es weniger um Ernährung. So gab es bereits Untersuchungen darüber, dass Leute während der Fastenzeit nicht zum Arzt gehen und in islamischen Ländern in dieser Zeit mehr Hypoglykämien und mehr Ketoaszidosen (Übersäuerung des Blutes, die unbehandelt zu einem diabetischen Koma führen kann, Anm. d Red.) vorkommen.
Von meinem Grundberuf bin ich Diätassistentin, davon gab es damals in Berlin nur sehr wenige. Dementsprechend gab es zu dieser Zeit auch bei der Beratung nichts zu diesem Punkt. Die Einsicht, dass wir unvernünftiges Verhalten in dieser Zeit nicht verhindern können, aber die Menschen trotzdem begleiten müssen, ist erst langsam gewachsen.
Warum wird das Thema fasten von vielen Muslimen so Ernst genommen?
Tatsächlich wollen sehr viele Menschen im Ramadan fasten. Die Gründe dafür sind einfach nachzuvollziehen: Im Prinzip ist dieses Fest ja ähnlich wie Weihnachten. Es geht sehr stark um die spirituellen und familiären Aspekte. Einen Monat lang sitzen alle jeden Abend an einem Tisch und essen miteinander, tagsüber wird gefastet. Das ist sehr verbindend. Und daran wollen natürlich auch Menschen mit Diabetes teilhaben. Und grundsätzlich ist dagegen ja auch nichts einzuwenden: Warum soll ein übergewichtiger Mensch mit Diabetes Typ 2 nicht fasten? Bei Studien kam heraus, dass das Ramadan-Fasten durchaus positive Effekte hat, das ging auch durch die Medien. Viele Menschen sind gerade in dieser Zeit sehr motiviert, etwas zu tun. Unsere Pflicht ist es, diese Menschen zu begleiten und zu beraten, ohne zu werten. Die individuelle Religion geht uns ja nichts an. Aber wir müssen auch darauf hinarbeiten, dass sie beispielsweise auch während der Fastenzeit bei ihrem Arzt vorstellig werden.
Wie beraten Sie Menschen mit Diabetes in Hinblick auf das Fasten im Ramadan?
Nun, zunächst einmal geben wir den Hinweis, dass chronisch Kranke im Islam nicht fasten müssen, sondern eigentlich davon ausgenommen sind. Aus den oben genannten Gründen gehört das aber trotzdem für viele Menschen einfach zum Ramadan dazu.
Dann kläre ich natürlich über die Gefahren für Typ 2-Diabetiker auf. Die Dosierungen von Insulin und Tabletten müssen passend zu den Mahlzeiten eingestellt werden, die ja nur zu Sonnenaufgang und Sonnenuntergang eingenommen werden. Außerdem wird thematisiert, wie die Mahlzeiten gestaltet werden sollten und wann und wie viel Wasser getrunken werden sollte – im Prinzip plant man den gesamten Tagesablauf. Diese Arbeit ist mit Muslimen übrigens gar nicht so schwer, weil der Islam ohnehin jedem Gläubigen klare Vorgaben macht, was er essen und wie er sich verhalten soll. Es ist eine Religion, die den kompletten Alltag bestimmt. Daher ist das Aufstellen von ergänzenden Regeln da gar nicht so schwierig.
Wie sieht das bei Typ1-Diabetikern aus?
Bei Typ 1-Diabetikern und Schwangeren wird Fasten aus wissenschaftlicher Sicht überhaupt nicht empfohlen. Das stellen wir dann in Gesprächen auch nochmal klar: Wenn sich einer dieser Personen für das Fasten entscheidet, geht sie ein Risiko ein.
Wie sehen Ihre Tipps ganz praktisch aus?
Die Morgenmahlzeit sollte durchaus etwas mehr Kohlenhydrate enthalten. Am Abend geht es eher in die Richtung „low carb“. Einweißreich, mit viel Gemüse und wenig Kohlenhydraten.
Hier sind auch die Behandelnden gefragt: In Schulungen von Diabetesberatern machen wir deutlich, dass der Patient begleitet werden muss, wenn er sich zum fasten entscheidet. Da gilt es unter anderem, die grundlegenden Essensgewohnheiten herauszufinden. Denn bei Menschen mit Migrationshintergrund sind etwa die Frequenzen von Mahlzeiten oft anders: Beispielsweise anstatt drei Mahlzeiten am Tag nur zwei, aber ganz viele Snacks dazwischen.
Dazu gehört sicher auch ein Grundwissen über die Küche in anderen Ländern? Wie wichtig ist da ein offener Blick?
In meiner Ausbildung hatte ich mich schon gewundert, dass beim Thema Ernährung und internationale Küche ausgerechnet die türkische Küche nicht vorkam – dabei war damals die türkische Community die größte Gruppe der Migranten. In der Vorstellung von vielen Kollegen bestand die Küche von Migranten aus dem Orient daher vor allem aus Teigtaschen, Baklava und ähnlichem – und wurde als sehr ungesund wahrgenommen wurde. Dabei gibt es da eine riesige Palette an traditionellen Gerichten mit Gemüse. Erst die diabetologischen Schwerpunktpraxen haben den Blick auf nationale Küche gefördert. Das Thema Essen ist aber gerade bei Migranten ein wichtiger Punkt – wenn man in einem fremden Land ist, hält man erst recht an den Essgewohnheiten aus der Heimat fest.
Herausfinden kann man so etwas nur durch Kommunikation. Daher brauchen wir in der medizinischen Beratung vor allem eine Veränderung in Bezug auf unsere Blickwinkel: Der Migrationshintergrund ist nie das Problem – das Problem ist unsere Herangehensweise. In einen Koffer kann nicht viel gepackt werden, jeder nimmt aber seine Religion, seine Kultur und auch seine Essgewohnheiten mit. Es ist deshalb normal, dass Menschen in der Fremde noch stärker an diesen Punkten festhalten. Um solche Dinge herauszufinden, ist im Prinzip noch nicht einmal viel Sprache nötig. Wenn bei den Patienten das Interesse da ist, lässt sich viel bewerkstelligen.
Und das gilt natürlich nicht nur für Menschen mit orientalischen oder muslimischen Wurzeln: Im Hinduismus – gerade in Indien ist die Prävalenz genetisch bedingt sehr hoch – kann tanzen als eine Art des Gebets gelten. Daher ist es wichtig, sich die Zeit zu nehmen und den Blick auf die individuellen Umstände zu richten. Viele Menschen fühlen sich nicht aufgenommen, wenn sie in einem neuen Land sind. Wenn die Menschen merken, dass man sich um sie kümmern will, gibt es oft sehr viel Offenheit und Wärme und Mitarbeit.
Frau Celen, vielen Dank für das Gespräch.