Parodontitis und Diabetes: Verhängnisvoller Ping-Pong-Effekt
Warum kann gute Mundhygiene bei Diabetes-Patienten das Risiko von Schlaganfällen und Lungenentzündungen verringern? Und warum ist der Kampf gegen Zahnfleischentzündungen bei Diabetes so wichtig? Im Interview erklärt der Zahnmediziner Mathias Ullrich, worauf Diabetiker achten sollten.
Von Andreas Göbel/ A.F.S.-Biotechnik
Herr Ullrich, warum ist die Zahngesundheit ein so wichtiges Thema für Menschen mit Diabetes?
Ullrich: Zwischen Diabetes und Parodontitis gibt es eine gut erforschte Wechselwirkung. Die beiden Erkrankungen können sich gegenseitig negativ beeinflussen – und sich in einer Art Ping-Pong-Effekt wechselseitig verstärken. Das Risiko, an Parodontitis zu erkranken, liegt bei Diabetespatienten um den Faktor 3 bis 5 höher, als bei gesunden Patienten.
Was genau ist Parodontitis?
Parodontitis ist eine chronische Entzündung des Zahnhalteapparates (Zahnfleisch und Knochensubstanz), die auch mit einer erhöhten Bakterienlast im Mund einhergeht. Diese Bakterien vermehren sich in Zahnbelägen, die sich dann in den Taschen zwischen Zahnfleisch und Zahn festsetzen. Von dort aus können sie in den gesamten Organismus abgeschwemmt werden. Die Folge können schwerwiegende Allgemeinerkrankungen sein, im Extremfall etwa Pneumonie (Lungenentzündung), ein Schlaganfall oder Herzinfarkt. Bei Schwangeren erhöht sich das Risiko einer Frühgeburt. Eine unbehandelte Parodontitis kann auch rheumatische Erkrankungen negativ beeinflussen.
Wie sieht diese negative Wechselwirkung zwischen Diabetes und Parodontitis genau aus?
Bei Vorliegen einer Parodontitis werden Entzündungsbotenstoffe (Mediatoren) freigesetzt. Die Mediatoren können an die Insulinrezeptoren andocken und damit den Glukoseabbau hemmen. Das führt zu einem erhöhten Blutzuckerspiegel, der sogenannten Hyperglykämie.
Hohe Blutzuckerwerte wiederum können eine Parodontitis anschieben oder verschlimmern. Ein hoher Blutzuckerspiegel kann ebenfalls zu einer erhöhten Bildung von Entzündungsbotenstoffen führen, die wiederum Entzündungsreaktionen (wie etwa Parodontitis) verstärken.
So kann eine gegenseitige Verstärkung der Effekte entstehen. Daher ist es für Diabetiker einerseits wichtig, den eigenen Blutzuckerspiegel regelmäßig zu prüfen und auf einem normalen Niveau zu halten. Anderseits sollte auch bei Parodontitis-Patienten immer abgeklärt werden, ob eventuell ein Diabetes vorliegt.
Was können Diabetiker tun, um eine Parodontitis und ihre Folgen zu verhindern?
Damit es zu einer Parodontitis kommt, müssen verschiedene Faktoren vorliegen: Zum einen eine genetische Veranlagung – diese kann man nicht beeinflussen. Was jedoch beeinflusst werden kann, ist das eigene Verhalten: Wichtige Co-Faktoren, die Parodontitis mit verursachen, sind vor allem mangelnde Mundhygiene und das Rauchen. Betroffene sollten also wenn möglich das Rauchen aufgeben und eine penible Mundhygiene betreiben. Dazu gehört auch der regelmäßige Besuch beim Zahnarzt – mindestens zweimal jährlich zur Kontrolle, regelmäßige professionelle Zahnreinigungen und bei Bedarf die Durchführung einer Parodontitis-Behandlung.
Wie sieht eine sinnvolle Mundhygiene für Diabetiker aus?
Neben dem regelmäßigen Zähneputzen gehört auch die konsequente Reinigung der Zahn-Zwischenräume mit entsprechenden Bürstchen dazu. Diese können in eine antibakterielle Spüllösung eingetaucht werden (Wirkstoff Chlorhexidin), damit der Wirkstoff auch in die schwer zu erreichenden Zahnzwischenräume gelangt. Wer eine genetische Veranlagung zur Parodontitis hat, sollte umso stärker auf ein zahnfleischgesundes Verhalten achten, eine intensive Mundhygiene betrieben und sehr penibel Zahnbeläge entfernen.
Daneben ist die regelmäßige Überprüfung des eigenen Blutzuckerwerts von großer Bedeutung: Das Augenmerk auf einen richtig eingestellten Blutzuckerspiegel ist in diesem Zusammenhang dringend angeraten und imminent wichtig, um die erwähnten Wechselwirkungen zu verhindern.
Wie bekannt ist aus Ihrer Sicht der negative Zusammenhang zwischen Diabetes und Parodontitis bei Patienten und Medizinern?
Eigentlich ist der Zusammenhang zwischen Diabetes und Parodontitis schon sehr lange bekannt. Ich muss aber leider immer wieder feststellen, dass es in den Köpfen der Betroffenen oft nicht so klar ist – das Thema ist nicht so präsent, wie es eigentlich sein sollte. Ich empfinde bei diesem Thema einen erheblichen Nachholbedarf, bei den Diabetologen ebenso wie bei den Zahnärzten. Hier ist eine bessere interdisziplinäre Zusammenarbeit gefragt. Da sich beide Krankheitsbilder gegenseitig beeinflussen, müsste öfter abgeklärt werden, ob ein Parodontitis-Patient auch Diabetes hat. Behandelnde dürfen das das nicht aus den Augen verlieren.
Grundsätzlich hat sich in den vergangenen Jahren in dieser Hinsicht zwar einiges verbessert, ist aber durchaus noch ausbaufähig. Seit etwa zwei Jahren gibt es neue Parodontitis-Behandlungsrichtlinie der Krankenkassen, die diesen Zusammenhang deutlich stärker in den Fokus rückt. Dieser Thematik wurde so endlich Rechnung getragen und eine bessere Behandlung ermöglicht. Aber es hat auch lange genug gedauert, da der Zusammenhang seit Jahrzehnten gut erforscht und allseits bekannt ist – aber zu oft links liegen gelassen wurde.